1. Definition und Grundlagen klinisch-psychologischer Intervention
- Fallbeispiele
• Herr K.
o Leidet unter Schlafstörungen und Grübeln in der Nacht.
o Ursache: Belastung durch Konflikte am Arbeitsplatz.
o Folgen: Sorgen um finanzielle Zukunft, Antriebslosigkeit, Aufgabe von Hobbys.
o Belastung für die Ehefrau durch seine nächtliche Unruhe.
• Frau P.
o Schwierigkeiten mit dem Verhalten ihres 12-jährigen Sohnes Gregor.
❖ Schlechte Noten, aggressives Verhalten, Respektlosigkeit gegenüber der Mutter.
o Fühlt sich überfordert und zweifelt an ihrer Kompetenz als Mutter.
• Frau S.
o 20-jährige Studentin mit Anpassungsschwierigkeiten in neuer Umgebung.
o Probleme beim Knüpfen sozialer Kontakte.
o Wünscht sich mehr Leichtigkeit im Aufbau von Freundschaften.
- Zentrales Anliegen der Fallbeispiele
• Alle Personen wollen ihren aktuellen Zustand verändern.
• Alleine gelingt ihnen das nicht – sie benötigen Unterstützung.
• Frage: Welche klinisch-psychologische Interventionsform ist jeweils geeignet?
- Zentrale Fragestellungen („W-Fragen“) der klinisch-psychologischen Intervention
• WER ist geeigneter Ansprechpartner?
o Zeitpunkt und Gründe für Intervention.
• WIE soll interveniert werden?
o Wahl zwischen medizinischer oder psychologischer Intervention.
o Entscheidung zwischen Beratung und Psychotherapie.
o Einzel- oder Gruppenbehandlung.
• BEI WEM soll interveniert werden?
o Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit.
o Bestimmung der Problemart.
• WOZU wird interveniert?
o Zielsetzung der klinisch-psychologischen Behandlung.
1.1. Zum Begfriff „Intervention“ in der klinischen Psychologie
- Vielfalt der Themen in der klinischen Psychologie
• Umfasst u. a.:
o Pathogenese und Ätiologie (Entstehung und Ursachen psychischer Störungen)
o Diagnostik und Klassifikation
o Intervention (Behandlung)
o Epidemiologie (Verteilung und Häufigkeit)
o Versorgungssituation
- Begriff der Intervention
• Ursprung: Lateinisch intervenire = dazwischentreten, sich einschalten.
• Intervention ist integraler Bestandteil der klinischen Psychologie.
• Enge Verzahnung mit anderen Bereichen, v. a. Diagnostik.
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,- Beispielhafte Anwendung: Herr K.
• Vor jeder Intervention notwendig:
o Abklärung medizinischer Ursachen.
o Diagnostik individueller Problemstruktur.
o Bedingungsbezogene Diagnostik (z. B. Arbeitssituation).
o Einschätzung des Schweregrads der Störung.
• Beispiele:
o Schwere Depression mit Suizidalität → stationäre Behandlung notwendig.
o Leichtere Lebensprobleme → Beratung ausreichend.
- Rolle von theoretischen Modellen und Forschung
• Pathogenese- und Ätiologiemodelle: Grundlage für individuelles Störungsmodell und Behandlungsplanung.
• Epidemiologie und Versorgungsforschung:
o Ziel: Bedarfsorientierte Versorgung.
o Beispiel: Passender Behandlungsplatz für Herr K.
- Merksatz
• Jeder klinisch-psychologischen Intervention geht eine strukturierte diagnostische Abklärung voraus.
- Ablauf des psychotherapeutischen Prozesses
• 1. Diagnostik
o Symptomklärung (z. B. Schlafstörungen, Grübeln).
o Ausschluss organischer Ursachen (z. B. Schilddrüsenüberfunktion).
o Differenzierung: Ursache – Folge – Wechselwirkung – Drittfaktoren (z. B. depressive Verstimmung durch Kon-
flikte).
• 2. Strukturiertes klinisches Interview
o Beispiel: SKID (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-Störungen).
o Ergebnis: Herr K. erfüllt die Kriterien einer Depression.
• 3. Diagnosestellung
o Grundlage für weitere Behandlungsplanung.
• 4. Indikationsstellung (differenzielle Indikation)
o Auswahl der passenden Intervention je nach Problemlage.
o Berücksichtigung weiterer Faktoren:
❖ Einbezug der Ehefrau?
❖ Bedeutung der Arbeitsplatzkonflikte?
o Hinweis: Detaillierte Darstellung der Indikationsstellung erfolgt nicht in diesem Kapitel.
• 5. Durchführung der Intervention
o Auswahl erfolgt begründet.
• 6. Evaluation
o Überprüfung von Wirksamkeit und Erfolg.
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,1.1.1. Definition und Systematik
- Interventionen im Kontext der Psychologie
• Einsatz in verschiedenen Anwendungsbereichen:
o Pädagogische, arbeits- und betriebspsychologische sowie klinische Psychologie.
• In der klinischen Psychologie: Fokus auf das Erleben und Verhalten psychisch belasteter Menschen.
- Begriffsklärung (1) – Bastine (1992)
• Definition: Klinisch-psychologische Intervention = alle professionellen psychologischen Unterstützungsfor-
men bei psychischen, sozialen und körperlichen Beeinträchtigungen/Störungen.
• Problemarten:
o Psychisch: z. B. Depression.
o Sozial: z. B. Paar-/Familienschwierigkeiten, Alltagseinschränkungen.
o Körperlich (mit psychischer Belastung): z. B. chronische Schmerzen.
• Professionalität umfasst:
o Wissenschaftliche Fundierung.
o Berufsrechtliche Zulassung.
• Abgrenzung:
o Interventionen mit wissenschaftlichem Wirksamkeitsnachweis vs. unwissenschaftliche Angebote (z. B. Wahrsa-
gerei, Schamanismus).
o Relevanz für Kostenträger wie Krankenkassen.
- Begriffsklärung (2) – Perrez & Baumann (2011)
• 6 Merkmale klinisch-psychologischer Interventionen:
o 1. Wahl der Mittel
o 2. Spezifische Interventionsfunktionen
o 3. Zielorientierung
o 4. Theoretische Fundierung
o 5. Empirische Evaluation
o 6. Professionalität des Handelns
- Konkretisierung der Merkmale
• Wahl der Mittel:
o Psychologische Mittel: Gespräche, Verhaltensexperimente, Übungen, Beziehungsgestaltung.
o Abgrenzung zu medizinischen oder pharmakologischen Mitteln.
o Fokus liegt auf dem „Wie“ der Problembearbeitung.
• Zielorientierung:
o Intervention muss auf überprüfbares Ergebnis abzielen.
o Zielbereiche:
❖ Gesundheitsförderung
❖ Prävention
❖ Behandlung/Therapie
❖ Rehabilitation
• Funktionen & zeitlicher Bezug:
o Gesundheitsförderung/Prävention: vorbeugend, senkt Inzidenzrate.
o Korrektive Intervention: bei akuten Problemen (z. B. Psychotherapie), senkt Prävalenzrate.
o Rehabilitative Maßnahmen: nachsorgend, Rückfallprophylaxe und Wiedereingliederung.
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, - Wissenschaftliche Fundierung
• Interventionen beruhen auf fundierten Theorien, z. B.:
o Lerntheoretisch
o Kognitionspsychologisch
o Psychodynamisch
o Humanistisch/philosophisch
- Professionelles Handeln (das „Wer“)
• Ausgebildete Fachkräfte: Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte.
• Psychotherapeutengesetz:
o Berufsausübung nur mit Hochschulabschluss und Weiterbildung.
- Interventionsbedarf (das „Bei wem“)
• Relevante Klientenmerkmale:
o Schweregrad der Beeinträchtigung (Komplexität, Chronizität, soziale Folgen)
o Persönlichkeitsmerkmale (Copingstil, Selbstwert, Motivation)
o Umweltfaktoren (soziale Unterstützung, Ressourcen)
o Einsicht in Problemlage und Behandlungsbedürftigkeit
o Vorhandensein einer passenden Interventionsstrategie
- Ebenen klinisch-psychologischer Intervention
• Intrapersonell:
o Ziel: Einzelne gestörte Funktionen (z. B. Denken, Emotionen) oder Funktionsmuster (z. B. Angststörungen).
• Interpersonell:
o Ziel: Dyaden, Familien, Gruppen, Organisationen.
o Einsatz: z. B. systemorientierte Programme, gesundheitspolitische Maßnahmen.
- Dauer der Intervention
• Behandlungszeitraum:
o Von einmaliger Beratung bis zu lang andauernden Psychotherapien.
• Dauer einzelner Einheiten:
o z. B. 50 Minuten Psychotherapie, mehrstündiger Expositionskurs.
- Systematische Orientierung anhand der W-Fragen
• W-Fragen sind teils voneinander abhängig.
o Beispiel: „Wozu“ (Prävention) ist mit „Wann“ (vor Symptomentstehung) verknüpft.
• Anwendbar auf:
o Interventionsformen: z. B. Psychotherapie, Beratung, Prävention, Mediation.
o Varianten innerhalb einer Form: z. B. kognitive Verhaltenstherapie vs. psychodynamische Therapie.
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