Streitstände-Dokument
A. Verwaltungsrecht AT/ Prozessrecht
I. Anfechtungsklage
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, wenn auf beiden Seiten Organe des Staates
stehen (JuS 2017, 663, 664)
1. Impermeabilitätstheorie:
Staat ein einheitliches Gebilde, sodass Streitigkeiten innerhalb dieses Gebilde nicht justiziabel
Contra:
o Entstehung eines „rechtsfreien Raums“ unvereinbar mit Rechtstaatsprinzip (Art 20 III
GG)
o Widerspruch zu Art 19 IV GG
2. Ansicht:
Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (+)
Jedoch im Zweifel bei Statthaftigkeit der Klage zu differenzieren
VA nur bei Außenwirkung gegeben: Dieser hängt je nach Streitgegenstand davon ab, ob
bloßes Betriebsverhältnis oder Grundverhältnis betroffen ist
2. Zuordnung von „Hausverbotsfällen“ im Rahmen der Eröffnung des
Verwaltungsrechtswegs nach §40 VwGO (Hemmer, VerwR I, Rn.27f.)?
Problemaufriss:
Wird ein Hausverbot ausgesprochen, kann dieses sowohl auf privatrechtlicher
(Eigentümerbefugnis, §903 BGB) als auch aufgrund öffentlich-rechtlicher Grundlage
ergehen?
Dabei ist strittig nach welchen Kriterien die nötige Zuordnung vorgenommen werden soll
1. Ansicht:
Zuordnung nach Zweck den der Besucher beim Betreten des Behördengebäudes hatte
Wird Bürger dann durch Hausverbot an einer der öffentlichen Zweckbestimmung
entsprechenden Inanspruchnahme gehindert ist Zuordnung als öffentlich rechtlich gegeben
(z.B. Betreten der Behörde zwecks Passantrags)
2. Ansicht:
Zuordnung nach Zweck des Hausverbots
Öffentlich-rechtlich gegeben, wenn es zur Sicherung der Erfüllung öffentlich-rechtlicher
Aufgaben ausgesprochen wurde
,3. Stellt ein als VA behandelter Nicht-VA einen VA dar (Hemmer, VerwR I, Rn.62)?
Problemaufriss:
Wie ist Situation zu bewerten, wenn gegen einen Nicht-VA Widerspruch eingelegt wird (also
an sich unzulässig), die Widerspruchsbehörde diesen dann jedoch als VA behandelt (ihn also
bescheidet ?
1. Ansicht (BVerwG):
Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach §79 I Nr.1 VwGO der ursprüngliche VA in der
Gestalt, die er durch Widerspruchsbescheid erlangt hat
Als VA behandelter Nicht-VA damit i.E. ein VA sodass Anfechtungsklage statthaft
2. Ansicht (BayVGH):
Charakter einer Rechtshandlung, kann nicht durch nachträgliches rechtswidriges Handeln
dritter Behörden bestimmt werden
Nicht VA bleibt Nicht-VA, Anfechtungsklage unstatthaft
Contra: Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 IV GG) des Bürgers
,4. Haben Maßnahmen im übertragenen Wirkungskreis Außenwirkung i.S.d. §35 VwVfG
(Hemmer, VerwR I, Rn.91ff.)?
Problemaufriss:
Grds. muss eine Maßnahme Außenwirkung haben, damit sie als Verwaltungsakt i.S.d. §35
VwVfG anzusehen ist
Bei Maßnahmen der Kommunalaufsicht an Gemeinden ist jedoch teilweise Abgrenzung zu
bloßer innerdienstlichen Weisung schwierig
Maßnahmen hinsichtlich der Rechtsaufsicht greifen stets in das Selbstverwaltungsrecht
der Gemeinde ein und berühren damit diese in ihrem eigenen Wirkungskreis, sodass
Außenwirkung (+)
Maßnahmen im übertragenen Wirkungskreis, behandelt Aufgaben, die der
Selbstverwaltungskörperschaft (z.B. Gemeinde) nur zur Umsetzung von Rechtssetzungen
übergeordneter staatlicher Einheiten (z.B. Land, Bund) anvertraut wurden
1. Ansicht:
Außenwirkung immer (+)
Gemeinde auch im übertragenen Wirkungskreis eigenständiges Rechtssubjekt für das damit
Außenwirkung entfaltet wird
2. Ansicht:
Grds. keine Außenwirkung
Gemeinde im Rahmen der Fachaufsicht nur intern als Teil der Staatsorganisation betroffen
Nur wenn Maßnahme den Rahmen der Fachaufsicht überschreit und sie insoweit in ihrem
Selbstverwaltungsrecht verletzt sind gilt etwas anderes
Contra: Die Abhängigkeitsmachung von einer Verletzung in eigenen Rechten ist letztlich eine
Vorverlagerung der Antragsbefugnis in die Statthaftigkeit der Klage und damit als Kriterium
ungeeignet
3. Ansicht:
Es soll gar nicht darauf ankommen, ob Maßnahme tatsächlich Außenwirkung hat sondern ob
eine solche gewollt war
In derartigen Fällen nie gewollt, sodass Außenwirkung stets (-)
Contra: Die Frage, ob ein VA Außenwirkung hat, ist eine tatsächliche objektive Frage und
kann nicht mit subjektiven Erwägungen verneint werden
, 5. In welchen Fällen kann auf ein Widerspruchsverfahren verzichtet werden im Rahmen
der Anfechtungsklage, wenn dies bereits von einem Dritten durchgeführt wurde (Hemmer,
VerwR I, Rn.173)?
1. Ansicht (h.L.):
Jetziger Kläger und damaliger Widerspruchsführer müssen aus einheitlichem Rechtsgrund
gegen VA vorgehen
2. Ansicht:
Zwischen jetzigem Kläger und damaligen Widerspruchsführer muss sogar eine notwendige
Streitgenossenschaft i.S.d. §63 VwGO, §62 ZPO vorliegen
Notwendige Streitgenossenschaft i.S.d. §62 ZPO= Wenn aus prozessrechtlichen (z.B.
Rechtskraft erstreckt sich auf alle) oder materiell rechtlichen Gründen (z.B. nur gemeinsames
Verfügen über Anspruch), eine einheitliche Entscheidung notwendig ist
Contra: Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung) ist bereits erfüllt, wenn
einer von mehreren Klägern aus selbem Rechtsverhältnis das Widerspruchsverfahren
durchgeführt hat
6. Wie sind Fälle zu bewerten, in denen sich Widerspruchsbehörde/deren Rechtsträger die
Nichtdurchführung des Vorverfahrens rügt und sich nur hilfsweise sachlich auf Klage
einlässt (Hemmer, VerwR I, Rn. 175.)?
Problemaufriss:
Grds. gilt, dass bei Einlassung der Widerspruchsbehörde/ deren Rechtsträger auf die Klage
(Beantragung der Abweisung als unbegründet) die Durchführung eines Vorverfahrens
entbehrlich ist
Zweck kann nicht mehr erreicht werden, Inhalt den Widerspruchsentscheidung hätte,
ergibt sich schon aus Klageerwiderung
Wie ist dies nun im oben stehenden Fall zu bewerten?
1. Ansicht:
Durchführung eines Vorverfahrens zwingendes Recht (§§68ff. VwGO)
Generelle Ablehnung der Einlassung als Grund für Entbehrlichkeit
Contra: Wenn Widerspruchsbehörde schon in Klageinlassung zum Ausdruck gebracht hat,
dass sie auch im Widerspruch nicht anders entscheiden wird, ist ein Festhalten am
Vorverfahren prozessökonomischer Unsinn
2. Ansicht (Rspr):
Auf Vorverfahren kann auch in solchen Fällen stets verzichtet werden
Contra: Zumindest bei Ermessensentscheidungen, wird dem Bürger damit eine
Ermessensebene genommen, da Gericht selbst auch keine eigene Ermessensentscheidung
treffen darf
3. Ansicht:
Nur bei gebundenen Entscheidungen ist auf ein Vorverfahren zu verzichten, wohingegen bei
Ermessensentscheidungen die Rechte des Bürgers nicht durch den Hinweis auf
Prozessökonomie untergraben werden dürfen