Eichendorff und „Sehnsucht“ von Ulla Hahn
Das vorliegende romantische Gedicht „Sehnsucht“ des deutschen Dichters Joseph von Eichendorff,
verfasst während der Jahre 1830 und 1831, thematisiert den sehnlichen Wunsch nach einer Reise in
die Ferne. Die Sehnsucht des lyrischen Ichs ist hierbei auf die harmonisierte Idylle einer natürlichen
Umgebung sowie die Einheit zwischen Natur und Mensch zentriert. Im Vordergrund steht jedoch nicht
der Ursprung dieses Sehnens, sondern vielmehr die subjektive Gefühlswelt, wobei die Wirklichkeit
vernachlässigt wird.
Unterteilt ist das lyrische Werk Eichendorffs in drei Strophen mit jeweils acht Versen, wobei sich
strophenweise drei unterschiedliche, thematische Ebenen herauskristallisieren, die bei genauerer
Betrachtung der inhaltlichen Struktur ersichtlich werden.
Einleitend wird der Lesende in den situativen Kontext des Geschehens eingeführt: In einer
sommerlichen Nacht blickt das lyrische Ich, das sich in einem nicht näher benannten Innenraum
befindet, aus dem Fenster und hört dabei ein Posthorn (vgl. V. 1-4). Durch dieses Geräusch wird sein
Innerstes von einer tiefen Sehnsucht ergriffen und es hegt im Stillen den Wunsch, mit der Kutsche
mitzureisen (vgl. V. 5-8).
In der zweiten Strophe berichtet das lyrische Ich von zwei vorübergehenden jungen Männern, die sich
auf Wanderschaft befinden (vgl. V. 9-11). Nur ihr Gesang über eine beinahe geheimnisvolle, nächtliche
Naturlandschaft mit Felsen, Wäldern und Bächen durchbricht die Ruhe der Umgebung (vgl. V. 12-16).
Auch in der letzten Strophe geht es erneut darum, was die beiden Männer auf ihrem Wege besingen.
Der Text ihres Liedes erzeugt nun eine Imagination beim lyrischen Ich von architektonischen Gebilden,
die jedoch Teil der Natur sind (vgl. V. 17-20) und von Mädchen, die in der Sommernacht hinter ihren
Fenstern darauf warten, dass die Lauten, mittelalterliche Saiteninstrumente, erklingen (vgl. V. 21-24).
Eine grundlegende Gleichmäßigkeit kann nicht nur in der Strophen- und Versgliederung konstatiert
werden, denn ein Kreuzreim, der sich durch den gesamten Verlauf des Gedichtes hindurchzieht, stützt
den Eindruck einer harmonischen Atmosphäre zusätzlich. Lediglich in der ersten Strophe lässt sich eine
Unregelmäßigkeit im Reimschema vorfinden, da es sich bei dem Worten „entbrennte“ und „könnte“
(V. 5, 7) um einen unreinen Reim handelt. Das Metrum ist ebenfalls nicht eindeutig identifizierbar,
denn alternierend reihen sich Jamben an Anapäste; dennoch ist der Wechsel von männlichen und
weiblichen Kadenzen wiederum sehr gleichmäßig. Eine weitere formale Auffälligkeit besteht darin,
dass jede Strophe genau drei Enjambements aufweist, wobei die letzten beiden Verse in allen dreien
durch einen Zeilensprung miteinander verbunden werden (vgl. V. 7-8, 15-16, 23-24).
Eine Vielzahl dieser genannten formalen Aspekte unterstreicht, ebenso wie sprachlich-stilistische
Gestaltungsmittel das im Gedicht beschriebene Geschehen.
Unmittelbar zu Beginn wird der Fokus auf die Schönheit der Natur gerichtet, indem der „golden[e]
[Schein]“ der Sterne (V. 1) hervorgehoben wird. Aufgrund der Assoziationen, die man mit der Farbe
von glänzendem Gold verbindet, wird augenblicklich die Stimmung einer schönen und klaren Nacht
vermittelt. Zu dieser Zeit steht nun das lyrische Ich hinter seinem Fenster und scheint unter der
nächtlichen Einsamkeit zu leiden, was sprachlich in Form einer Inversion transportiert wird, weil diese
als Zeichen für starke Emotionen angesehen werden kann (V. 2). Deutlich wird hierbei zudem, dass
eine räumliche Separation zwischen dem lyrischen Ich und seiner Umgebung existiert, allerdings
verhindert diese physische Abschottung nicht, dass es sich zumindest psychisch auf eine Reise in die
Ferne begeben kann, wie ein Zeilensprung zwischen den Versen illustriert (vgl. V. 2-4).
Ein Geräusch, nämlich der Klang eines „Posthorn[s] [aus weiter Ferne]“ (V. 3-4), das antithetisch dem
„stillen Land“ (V. 4) gegenübergestellt ist, leitet jedoch eine Veränderung in Bezug auf die