Q1.1 Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert – Literatur um 1800 und im
frühen 19. Jahrhundert
Literarische Texte: Dramatik (z.B. Schiller, Kleist) oder Epik (z.B. Tieck, E.T.A.
Hofmann) […] und Lyrik (z.B. Goethe, Hölderlin, Günderrode, Eichendorff)
Lyrik der Romantik
Epoche der Romantik
- Gegenbewegung zur Klassik und Aufklärung
- Bewahrung des Mystischen und Geheimnisvollen
- Romantiker hassen schmutzige Städte und lieben die Natur → Isolation von der
Gesellschaft und Flucht/Rückzug in die Natur
- Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Rückzug in Fantasie- und Traumwelten
- In der Natur: Ausleben der Sehnsucht; Sehnen nach Geheimnisvollem und Schönem
- Gegenpol zur rational-wissenschaftlichen Aufklärung: Ablehnung und „Bekämpfung“ der
Wissenschaft → Fantasie hat Vorrang
- Welt wird als unvollkommen wahrgenommen → das Wahre: Fantasie, Kindheit, Märchen
Generelle Formalitäten
Mögliche Reimfolgen
- AABBCC → Paarreim
- ABABCDCD → Kreuzreim
- AABCCB → Schweifreim
- ABBA → umarmender Reim
- ABA BCB → Kettenreim
- AAAA BBBB → Haufenreim
- AABCCDD → Waise bzw. Paarreim mit einer Waise (B)
Metren/Versfüße (X = betont/Hebung; x = unbetont/Senkung)
- xX → Jambus
- Xx → Trochäus
- Xxx → Daktylus
- xxX → Anapäst
- Freie Rhythmen: reimlos und metrisch ungebunden; beliebige Verslänge
Auftakt (= eine oder mehrere Senkungen (x) vor der ersten Hebung (X)
- Bei Jambus und Anapäst grundsätzlich immer der Fall (xX und xxX)
- Kann auch bei Daktylus oder Trochäus auftreten
Kadenzen
- Vers endet auf Hebung (X) → männliche Kadenz
- Vers endet auf Senkung (x) → weibliche Kadenz
1
, Landesabitur 2025 Hessen, Deutsch LK Q1-4
Hebigkeit
- 3 Hebungen, also 3-mal X im Metrum = dreihebig
- Anzahl der Hebungen wird vor den Versfuß gesetzt → Bsp.: vierhebiger Jambus
Form und Sprache
Nähe der romantischen Gedichte zum deutschen Volkslied
→ vier Verse pro Strophe
→ drei Hebungen pro Vers (jambisch)
→ abwechselnd weibliche und männliche Kadenzen
→ Kreuzreim oder Paarreim
→ Füllungsfreiheit: beliebig viele Senkungen zwischen Hebungen, nicht streng alternierend
Weitere Gedichtformen der Romantik
- Hymne: erhabener, pathetischer Preis- und Lobgesang in freien Rhythmen (z.B. Novalis)
- Sonett: 14 Verse mit zweiteiligem Aufbau → zwei Quartette und zwei Terzette (z.B.
Eichendorff)
- Ballade: Mischung dramatischer, epischer und lyrischer Elemente (z.B. Heine, Brentano)
Wortwahl und Sprache
- Verständliche Sprache: Verzicht auf Fremdwörter oder Bildungssprache
- Nachvollziehbare Handlung des Gedichts → kein Bildungswissen notwendig
- „Volksnaher“ Ton, um viele Leser zu erreichen
- Trotz vordergründlicher Zugänglichkeit der Gedichte → Bildhaftigkeit der Sprache
erschwert Verständnis
Stil
- Metaphorik und Vergleiche → Bildhaftigkeit und Anschaulichkeit des Geschilderten
- Synästhesien verdeutlichen Vielzahl, Gleichzeitigkeit und Intensität der
Sinneswahrnehmungen, vor allem in der Natur
- Personifikation von Naturelementen (z.B. Bäume, Wind, Wolken); Natur als handelnde
Figur → Lebendigkeit und geheimes Eigenleben der Natur, verborgene Kräfte, ABER
auch latente Gefahr
- Verwendung von Symbolen/Leitmotiven (z.B. Blaue Blume, zerbrochenes Ringlein, Mühl-
oder Spinnrad, …) → aufgeladen mit Bedeutung (z.B. Sehnsucht, Liebe, …)
- Wiederkehrende Handlungsschauplätze, z.B. Wälder, Berge, Wiesen, ruinenhafte
Gebäude, nächtliche Landschaft → typische Orte, die das romantische Lebensgefühl
widerspiegeln
Zentrale Themen
Natur
- Urzustand der Einheit alles Seienden ist verlorengegangen: Einheit zwischen Natur und
Mensch, Gott ist nur in Natur sichtbar → Sehnsucht der Romantiker nach
Wiederherstellung dieser Verbindung (Blaue Blume als Symbol dieser Sehnsucht)
- Abwendung von der Zivilisation und ihren Zumutungen (u.a. beginnende
Industrialisierung) → Hinwendung zur idyllischen Natur und zu christlichem Gott
2
, Landesabitur 2025 Hessen, Deutsch LK Q1-4
- Natur als heiliger Raum; Natur sendet „verrätselte“ Botschaften, die der Mensch
entschlüsseln muss
- Natur als Spiegel der menschlichen Seele, u.a. durch Jahreszeiten (z.B. Frühling →
Neubeginn, Euphorie, …) oder durch Naturphänomene (z.B. Stürme → Widrigkeit)
- Natur (Wald) als außergesellschaftlicher Ort → Rückzug, Geborgenheit, Einsamkeit
(Isolation), Wunder, aber auch Bedrohung
Wandern und Reisen
- Wandern als Ausdruck der Sehnsucht nach Unendlichkeit und Fernweh (vgl. Motiv des
klingenden Posthorns)
- Reisen in die Natur = Reisen zu sich selbst; Reisen als Selbsterkundung und -erkenntnis
- Unterwegssein als Ausdruck des romantischen Lebensstils Stillstand und
Gemütlichkeit
- Reisen als Befreiung aus der spießig-philisterhaften Sesshaftigkeit (Romantiker
Philister!!); Reisen als Akt der Freiheit und Selbstbestimmung → ABER: auch Gefahr,
sich auf Reisen zu verlieren (durch Verlockungen der Welt, durch sinnliche Genüsse
etc.)
- Reisen als Sinnbild für das menschliche Leben: Leben als ständiges Unterwegssein
- Endlosigkeit der Wanderung (Kreislauf aus Aufbruch – Unterwegssein – Ankommen –
erneuter Aufbruch) → ABER Vorhandensein von Gottvertrauen für positiven Ausgang
Traum, Fantasie, Ahnung
- Abgrenzung gegenüber der Aufklärung und der Weimarer Klassik → Mensch als Wesen
mit Verstand und Emotionen; Ganzheitlichkeit des Menschen; Blick nach Innen
- Vermischung verschiedener Wahrnehmungsebenen, z.B. Realität – (Alb)Traum – Fantasie
→ kein Unterscheiden mehr möglich (Bsp.: Nathanael)
Nachtseiten des Menschen
- Durch Blick auf das Innenleben: verstärkte Thematisierung „negativer“
Bewusstseinszustände → Wahnsinn, Ohnmacht, Fieber, Verzweiflung, Einsamkeit, … →
Entgrenzung des romantischen Menschen
- Fokus auf Nachtseiten als Ausdruck der Entfremdung des Menschen von sich selbst und
der verlorenen Nähe zu Gott
Andere Welten
- Empfinden des Ungenügens an der eigenen Zeit → Suche nach Sinn und Identität
- Literarische Beschäftigung mit deutschen Märchen, Sagen und Mythen
- Typisch romantisch: Loreley-Mythos → Loreley als Symbol der Sinnesliebe und
Verlockung, welche die Männer in den Abgrund zieht (vgl. Brentano, Eichendorff, Heine)
Symbole, Liebe und Ziele
Symbole
- Blaue Blume: Streben nach Wiederherstellung der Verbindung zwischen Mensch und
Natur; Sehnsucht
- Nachtmotiv: Tod, Vergänglichkeit, geheimnisvolle Phänomene, magische Entgrenzung,
Schmerz
3
, Landesabitur 2025 Hessen, Deutsch LK Q1-4
- Natur: Ort der Ruhe und Innerlichkeit; Suche der menschlichen Seele nach ihrer
göttlichen Heimat; Zufluchtsort
- Naturgeräusche: Verschlüsselte Botschaften Gottes
- Nixen, Sirenen, Loreley, Venus: Sexualität als sündhafte Liebe; Verlockung; ziehen die
Männer, welche sich der Sinnesliebe hingeben, in den Abgrund
- Jungfrau Maria: Symbol der liebenden Frau
- Herz: Vereinigung mit Gott; Gottesliebe
- Mond, Kreis, Spinnrad, Mühlrad etc.: Unendlichkeit; „gefangen“ im Unendlichen;
Ausweglosigkeit
- Wandermotiv: Streben nach neuen Erfahrungen; dauerhafte Bewegung, nicht sesshaft
werden (da Philister sesshaft sind); Suche nach Liebe und sich selbst
- Schwellenmotiv (=Dämmerung, Zwielicht, Mondschein, Blick aus dem Fenster): Grenze
zwischen Wirklichkeit und Traum
- Spiegelmotiv: Hinwendung zum Unheimlichen; Schnittstelle zwischen Realität und
Irrealität; Interesse an Transzendenz/Übernatürlichem
- Jahreszeiten: Spiegeln inneren Zustand der Menschen wider (Natur ebenfalls)
- Wellenmetaphorik: Symbol des dauerhaften Strebens/der Bewegung
Ziele
- Rückbesinnung zur Natur → Natur als heiliger Raum; Hinwendung zu Gott; Verbindung
von Mensch und Natur
- Flucht in Fantasie- und Traumwelten; Ausweichen des städtischen Trubels und der
Gesellschaft
- Distanzierung von den Philistern → erfolgt durch Wandern (nicht sesshaft werden!) und
Streben
- Ablehnung der Rationalität
- Verbindung/Vermischung von Kunst und Realität
- Abgrenzung gegenüber der Aufklärung und der Weimarer Klassik
- Finden des Glücks und der ewigen Liebe (Gefahr durch sinnliche Liebe)
- Stillen der Sehnsucht
Arten von Liebe
- Von Gott gesegnete Seelenliebe: Gleichwertigen Partner finden → Ziel der Romantiker
- Irdisch gegebene Sinnenliebe: Mann verliebt sich ins Äußerliche einer Frau, Interesse
an Sexualität, Nachgehen seiner Lust, Verstoß gegen gottgegebene Seelenliebe →
mündet in Bestrafung; Untergang für den Mann
Q1 Epik: Der Sandmann – E.T.A. Hoffmann
Allgemeine Informationen
Veröffentlichung: 1816
Autor: Ernst Theodor Amadeus (E.T.A.) Hoffmann
Gattung: Erzählung
Epoche: Romantik (Schwarze Romantik)
4
, Landesabitur 2025 Hessen, Deutsch LK Q1-4
Zusammenfassung
Erster Brief (Nathanael an Lothar) → Brief ging aus Versehen an Clara
- Beängstigender Besuch des Wetterglashändlers Coppola bei dem Studenten Nathanael
- Ahnung Nathanaels: Coppola sei der Advokat Coppelius aus seiner Kindheit
Kindheitserinnerung an Coppelius:
- Coppelius: bedrohliche Figur, die Nathanaels Vater besucht und mit ihm heimliche
Dinge treibt
- Nathanaels Verknüpfung des Coppelius mit der Kinderschreckfigur des Sandmanns,
der Erzählungen der Kinderfrau nach schlafunwilligen Kindern die Augen raubt, indem
er Sand in sie streut → große Angst
- Nathanael versteckt sich im väterlichen Arbeitszimmer, als Coppelius und er
alchemistisch experimentieren → Coppelius entdeckt Nathanael und droht ihm, ihm
die Augen zu nehmen → Bewusstlosigkeit Nathanaels und langer, fieberhafter Schlaf
- Ein Jahr später: erneuter Besuch Coppelius‘ → Tod des Vaters bei einem der
Experimente
- Nathanaels Überzeugung, dass Coppola und Coppelius identisch sind →
Kindheitstrauma!
Zweiter Brief (Clara an Nathanael)
- Clara ist angesichts der Erzählungen von Nathanael erschüttert → ABER nach Gespräch
mit ihrem Bruder Lothar rationalisierende Reaktion
- Rationale Entzauberung: Verknüpfung Coppelius‘ mit dem Sandmann als Einbildung
- Erklärung, dass dunkle Mächte nur wirken können, wenn der Mensch sie im Inneren
wirken lässt → dunkle Macht nur als eine innere, psychische Macht, nicht als äußere
und wirkliche Macht
- Rat, den Gedanken an Coppelius/Coppola zu verdrängen
- Clara versucht, ihre rationale und vernünftige Meinung an Nathanael, welcher ihren
Gegenpol bildet, zu vermitteln
Dritter Brief (Nathanael an Lothar)
- Nathanael ist enttäuscht, da er Claras Reaktion als kühl und gefühlslos empfindet und
da Clara und Lothar sich über ihn ausgetauscht haben (Vertrauensbruch?)
- Auffassung, dass Coppola und Coppelius doch nicht identisch sind, aber dennoch keine
Beruhigung
- Bericht über Olimpia, die Tochter des Physik Professors Spalanzani, der diese abschirmt
→ Olimpia wirkt starr und leblos auf ihn (→ sie ist in echt eine Puppe)
- Ankündigung, zu Clara und Lothar zu reisen
- Andeutung auf Nathanaels hin- und her Gerissenheit zwischen Clara und Olimpia
Nathanael und Clara
- Direkte Ansprache des Lesers durch Erzähler
- Nathanaels Ankunft bei Clara: vorübergehendes Verschwinden der dunklen Gedanken,
dann zunehmende Wesensveränderung: Nathanael denkt, der Mensch sei ein Spielball
der dunklen Mächte
- Unverständnis Claras gegenüber Nathanael → sie erklärt ihm wiederholt, dass die
bösen Mächte nur in seinem Inneren existieren
- Fortwährende Versuche, Clara an seinen Vorstellungen teilhaben zu lassen, u.a. auch
durch das Vorlesen selbstgeschriebener literarischer Texte → Claras Bitte, dass
Nathanael seine Dichtung vernichten soll, da sie von der Zerstörung deren Liebe durch
Coppelius handelt → beleidigende und wütende Reaktion Nathanaels
5
, Landesabitur 2025 Hessen, Deutsch LK Q1-4
- Eskalation eines daran anschließenden Streits zwischen Nathanael und Lothar, welcher
seiner Schwester Clara zur Seite steht → Verhinderung eines Kampfes durch Clara und
anschließende Versöhnung
Nathanael und Olimpia
- Rückkunft Nathanaels in die Stadt G., in welcher er studiert → da Nathanaels alte
Wohnung abgebrannt ist, zieht er um in eine Wohnung gegenüber von Professor
Spalanzani
- Zu Beginn Desinteresse für Olimpia, welche er durchs Fenster regungslos am Tisch
sitzen sieht
- Neulicher Besuch des Wetterglashändlers (=Optiker) Coppolas, welcher Brillen mit der
Wendung „Sköne Oke“ anpreist und Nathanaels Kindheitstrauma erweckt → Nathanael
kauft ein Perspektiv (Fernrohr)
- Änderung der Wahrnehmung Olimpias durch das Perspektiv, u.a. Faszination für die
Lebendigkeit ihrer bisher eher tot wirkenden Augen → Verdrängung der Gedanken an
Clara
- Bei Coppola gekauftes Perspektiv als Auslöser für seine Wahrnehmungsstörung und
Visionen, da eine Verbindung zu seinem Kindheitstrauma hergestellt wird → durch
das Perspektiv sieht er falsche Dinge
- Bei einem von Spalanzani ausgetragenem Fest: Entflammen der Liebe zu Olimpia, die
allerdings nur mit einem „Ach – ach!“ auf ihn reagiert
- Olimpia wird von der Öffentlichkeit als stumpfsinnig wahrgenommen, worüber
Nathanael verärgert ist → er verteidigt sie gegenüber seinem Freund Siegmund
- Häufige und lange Besuche bei der wortkargen Olimpia → Nathanael ist überzeugt, dass
nur sie allein ihn verstehe und möchte ihr deshalb einen Heiratsantrag machen
- Nathanaels Beobachtung einer Auseinandersetzung zwischen Coppola und Spalanzani
um Olimpia → erschreckende Erkenntnis, dass Olimpia nur eine Puppe ist → Ausbruch
des Wahnsinns bei Nathanael, nachdem Coppola (Konstrukteur ihrer Augen) mit
dem augenlosen Körper flieht und der verletzte Spalanzani (Konstrukteur des Körpers)
Nathanael ihre Augen zuwirft
- Rettung des Professors vor dem im Wahn wütenden Nathanael durch mehrere
Menschen
- Z.T. empörte Reaktion der Öffentlichkeit auf Enthüllung, dass Olimpia eine Puppe ist →
Männer kontrollierten ihre Frauen und ließen sie ihre Lebendigkeit beweisen
Nathanaels Suizid
- Nathanael erwacht nach längerer Zeit bei seiner Mutter und Clara (er war lange in einer
Psychiatrie) → zunehmende Genesung Nathanaels
- Nathanaels Wille, Clara zu heiraten und mit ihr zusammenzuziehen
Besteigen eines Rathausturms bei einem Stadtbesuch
- Entdecken eines seltsamen grauen Busches in der Ferne → Nathanael schaut durch
sein Perspektiv und erblickt dabei Clara → Ausbruch des Wahnsinns und Versuch,
Clara vom Turm zu schmeißen
- Rettung Claras durch den hinaufstürmenden Lothar
- Nathanaels absichtlicher tödlicher Sturz vom Turm, als dieser Coppelius vor dem Turm
erblickt (Wahnvorstellung)
- Ausblick auf Claras späteres Glück mit einem anderen Mann
6